Vom Zeitungsjungen zum Oberamtsrat                            10.12.2015

die Geschichte eines Flüchtlingsjungen aus der Nähe von Stettin/Pommern
                               Die Mannschaft des SV Werdum nach dem 2.Weltkrieg
                Oben v.L.: Horst Tornow, Adolf Filter, Rudi Kaboth, Didi Dirks, Günther Rahlfs
                          Mittlere reihe v.L.: Herbert Rahlfs, Kurt Kobusch?, unbekannt
                                 Unten v.L.: unbekannt, unbekannt, Emil Wellnitz

82-jähriger Adolf Filter war immer ein begeisterter Fußballanhänger – der Sport spielte in seinem Leben eine große Rolle
Der 19. März 1945war ein denkwürdiger Tag.
Millionen Menschen waren in den Kriegswirren auf der Flucht. Dem Zug in Burhafe entstiegen der elfjährige Adolf Filter, seine Mutter und Schwester (13). Aus Jasenitz, in der Nähe von Stettin in Pommern, unweit der heutigen „Kultinsel“ Usedom hatte es sie nach Ostfriesland verschlagen. Mitnehmen durften Filters nur das, was sie tragen konnten. Nach längstens 4 – 6 Wochen sollten sie wieder zurückkehren... Inzwischen sind daraus 70 Jahre geworden!
Durch Vorpommern, Mecklenburg, Hamburg, Bremen und Oldenburg ging es, unter oftmaligem Beschuss durch Tiefflieger, nach Burhafe/Ostfriesland. Mit einem Pferdegespann wurde die
  erste Station, der Gasthof Onken in Werdum, erreicht. Im Laufe des Nachmittags ging es weiter nach  Werdumeraltendeich (Hof Redelf Schwitters). Dort kamen die Stettiner in einem Zimmer neben der Küche unter. Zu diesem Zeitpunkt war Adolf Filter elf Jahre alt. Er ahnte noch nicht, dass er fünf Jahre im Harlingerland leben würde.
Die angekommenen Flüchtlinge waren froh, überhaupt eine Bleibe zu haben. Filter: „Wir mussten nicht hungern, aber dafür natürlich in der Landwirtschaft mitarbeiten, da
  Redelf Schwitters Soldat war“.
Zurückblickend stellt der muntere Alzeyer heute fest: „Die fünf Jahre in Ostfriesland bleiben mir immer in guter Erinnerung“. Der Vater, Willi Filter, befand sich an der
Ostfront und konnte mit dem letzten Schnellboot die eingeschlossene Stadt Kolberg/Hinterpommern verlassen.
Vom Großraum Berlin aus hat Willi Filter dann versucht, in englische oder amerikanische Gefangenschaft zu kommen und nicht bei den Russen. Dies war dem Vater gelungen, er kam in amerikanische Gefangenschaft, aus der er im Juli/August 1945 entlassen wurde. Auf Umwegen brachte er in Erfahrung, das es seine Familie nach Ostfriesland verschlagen hatte. Eine Postkarte als erstes Lebenszeichen erreichte die Ehefrau und die Kinder wohl im August 1945. und kurze Zeit später stieß der Vater zu seiner Familie auf dem Bauernhof Schwitters. Auch er wurde dort von Frau Schwitters nett aufgenommen.

1946 wurden in Werdum
  insgesamt 895 Einwohner verzeichnet, von denen 191 Personen Flüchtlinge waren, was einem Anteil von 21,3% entspricht. 1950 registrierte man 950 Einwohner. Die Zahl der Flüchtlinge lag bei 240. Die Quote stieg somit deutlich auf 25,3%.
Im Februar/März 1945 zog die Familie um. Das neue Domizil wurde in jetzt aus zwei Zimmern neben dem Saal im 1. Obergeschoss bei Georg Janssen (Gasthof, Lebensmittel und Baustoffe).
   Für Adolf Filter war es von dort ein kurzer Weg zur Schule (bis 1948). Im Frühjahr des selben Jahres wurde er in der Werdumer Kirche konfirmiert. Nach der Entlassung aus der Volksschule besuchte er bis zum Sommer 1950 die Mittelschule in Esens (Lehrer Ebrecht).
Lobende Worte findet Adolf Filter für Ulrich Cramer, damals Burg Edenserloog, heute Ganderkesee: „Er hat mir damals sehr geholfen, um als „Flüchtling“ Anschluss zu finden, dafür bin ich ihm noch heute dankbar, er hat mir manches erleichtert“. Diese Freundschaft besteht heute noch!

Ein wichtiges Bindeglied für die Heranwachsenden war der
Sport, insbesondere der Fußballsport, aber selbstverständlich auch das Boßeln. In Werdum waren viele Flüchtlinge aus dem Osten gestrandet, darunter auch allerlei Kinder und Jugendliche. Sie fanden sich zusammen und jagten dem Fußball unter primitivsten Verhältnissen nach.  Man konnte keine hohen Ansprüche stellen, die Nachkriegswirren gaben es nicht her. Die Kinder verstanden sich jedoch bestens, spielten Fußball  und schufen sich damit  Abwechselung in ihrem jungen Leben, egal ob einheimische- oder  Flüchtlings-Kinder.
In 1948 wurde dann der SV Werdum gegründet, der drei Spieljahre bestand. Die Gründung des Vereins hatte Vater Willi maßgeblich initiiert. Er war Beamter und selbst Fußball-Fan. Daher trug die Vereinssatzung des Vereins auch seine Handschrift.
Fußballspielen ging fortan etwas geordneter zu.  Der SVW war einer der wenigen Vereine, der kurz nach dem II. Weltkrieg im Fußballbezirk Ostfriesland gegründet wurden.  Einen Sportplatz gab es logischerweise nicht, eine grüne Wiese in Edenserloog (Ausgang nach Altfunnixsiel) wurde zum Fußballplatz „aufgerüstet“. Das Spielfeld durchlaufende Gräben wurden mit Raps-Schrot notdürftig ausgefüllt.  Tore wurden aus dem geschaffen, was die Natur her gab. Fußbälle gab es selbstverständlich auch nicht. Da bastelten die jungen Fußballer aus verschiedenen Stoffen ein „rundes Etwas“ und schon ging es los. Es mangelte an Trikots, Fußballschuhen, Tornetzen und so vielen, heute selbstverständlichen kleinen Dingen, von Beförderungsmöglichkeiten ganz zu schweigen.
In der Saison 1948/49 nahm der SV mit einer Mannschaft an den Spielen teil, in den beiden Spieljahren 1949/50 und 1950/51 mit zwei Mannschaften. Das erste Spiel bestritt der damalige SV gegen den SV Fulkum. Weitere Gegner in den drei Spieljahren waren Dornum, Neßmersiel, Burhafe, Voßbarg, Moordorf, Spetzerfehn, Dunum, Neuharlingersiel und Ardorf. Der junge Adolf Filter spielte selbst gerne Fußball und fühlte sich bald im Kreis der Jugendlichen und Aktiven als „Einheimischer“.
Das Fußballinteresse von Adolf Filter war vom Vater im ursprünglichen Heimatort Stettin bereits in Kinderjahren geweckt worden. Das prägende Ereignis fand dann am 12. April 1942, mitten im Krieg, statt. Zusammen mit seinem Vater, der einige Tage Fronturlaub genießen konnte, fuhr er mit der Reichsbahn zum Länderspiel Deutschland gegen Spanien nach Berlin. Das Spiel endete vor 80.000 Zuschauern 1:1. Damals begegnete dem achtjährigen Adolf Filter zum ersten Mal leibhaftig der „Rastelli des Fußballs“, Fritz Walter.

Adolf Filter schwärmt noch heute: „Fritz Walter spielte als zweiter Linksaußen und fiel durch sein fußballerisches Talent, seine Bescheidenheit und seine Fairness auf“.
  Diese Begegnung hatte sich bei dem jungen Adolf Filter tief in das Gedächtnis eingegraben und ließ ihn nicht mehr los „Fritz Walter war für mich Sinnbild und Vorbild, nicht nur im Sport, er ist es auch für das Leben geblieben.“ Ein weiteres, besonderes Ereignis, stand am 12. Juni 1949 an. Im Weser-Stadion Bremen fand das Viertelfinale um die Deutsche Meisterschaft zwischen dem FC St. Pauli und dem 1. FC Kaiserslautern statt.  Der junge Adolf Filter schwang sich auf einen nicht sehr hochwertigen „Drahtesel“ und fuhr mit seinem Vater und den beiden  Freunden Hermann Janssen und Ulrich Cramer die etwa 125 Kilometer nach Bremen um seinem Fußballidol wieder zu begegnen – ein wunderbares Erlebnis für die Jungens!
Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 verließ die Familie im Rahmen eines Umsiedlungsverfahrens Werdum in Richtung Rheinland-Pfalz. Adolf Filter: „Bei mir mit etwas Tränen in den Augen“.
Bis 1953 wohnte die Familie im beschaulichen Flomborn.
Im Sommer 1953 zogen sie nach Alzey, wo Filter bis zur Prima-Reife das Gymnasium besuchte. Mit der Ausbildung bei der Stadtverwaltung Alzey begann eine 42-jährige Schaffenszeit im dortigen Rathaus, davon 28 Jahre als Büroleitender Beamter. Als Oberamtsrat ging er am 30.6.1996 in den Ruhestand.

Geheiratet wurde am 2. Mai 1959. Die Auserwählte Katharina Stempel hatte Filter
  bereits Jahre zuvor in Flomborn kennengelernt. Am 5.4.1960 wurde Sohn Uwe geboren, der als Schlosser tätig ist. Tochter Anke folgte am 21.3.1966, die nach dem Abitur Betriebswissenschaft studierte. Die Tochter von Anke ist das einzige Enkelkind und besucht die 11. Klasse des Gymnasiums.


Adolf Filter mit seinem großem Fußball-Idol Fritz Walter


Im Garten der Villa des Ehrenspielführers der Fußball-Nationalmannschaft Fritz Walter in Enkenbach-Alsenborn (Kaiserslautern).

Sepp-Herberger-Tag in Alzey am 19.08.1989
Mit einem Glas "Schloß Wachenheim" badankte sich Fritz Walter nochmals bei Adolf Filter für den erfolgereichen Sepp-Herberger-Tag in Alzey.

rechts: Autogrammstunde mit FrItz Walter
Am Tisch: Fritz Walter, Walter F. Zuber, Bürgermeister von Alzey, stehend Adolf Filter


Adolf Filter in seinem Arbeitszimmer

Seine Liebe zum Fußballsport hat Adolf Filter dann bereits in Flomborn wieder aufleben lassen. Nach seiner Aussage waren es von dort nur noch 50 Radkilometer bis Kaiserslautern, so das er einige Heimspiele des FCK verfolgen konnte. An die „große Wasserschlacht 1952“ der Deutschen Nationalmannschaft  gegen Jugoslawien (3:2) in Ludwigshafen erinnert sich Filter noch genau und an die Begegnung mit den unauslöschlichen Namen des Deutschen Fußballs: Fritz  und Otmar Walter und Horst Eckel.
Adolf Filters Lebenstraum erfüllte sich am 19. August 1989, als im Wartbergstadion in Alzey der Sepp-Herberger-Tag ausgerichtet wurde. „Ein ganzer Tag an der Seite meines Sportidols Fritz Walter“, erinnert sich der muntere Senior,
der es zwischenzeitlich zum Bürochef der Stadtverwaltung Alzey avanciert war. Die Organisation des Tages hatte er zur Chefsache gemacht. „Jetzt, wo ich Fritz Walter ganz nah sein konnte, bestätigten sich alle die Eindrücke, die ich im Verlauf von über 50 Jahren aus der Entfernung von ihm gesammelt hatte. Sein freundlicher Umgang, seine Akzeptanz der Menschen, die einfache Art, mit der auf alle zuging, das war die wahre Größe des Sportmanns Fritz Walter“.
Für Filter blieb es nicht bei der Verehrung seines Idols, er arbeitete aktiv bei der Sportgemeinde Rot-Weiß Olympia Alzey
  mit und war maßgeblich an der Gründung des Fördervereins beteiligt, sechs Jahre Vorsitzender und seit 1992 Ehrenvorsitzender der „Freunde und Ehrenvorsitzender der „Freunde“, sowie seit 1996 Ehrenmitglied von RWO Alzey. Ein Höhepunkt in der Vereinsgeschichte war das 50-jährige Vereinsjubiläum, das mit dem zehnjährigen Bestehen der „Freunde von SG RWO Alzey“ zusammenfiel. Gekrönt wurde das Jubiläum durch den Auftritt des FC Bayern München, bei dem sich die  Alzeyer Kicker mit einer 3:5 Niederlage achtbar schlugen. Für seine vielfältigen Verdienste um den Fußballsport wurde Adolf Filter im März 2014 die Verbandsehrenadel des Südwestdeutschen Fußballverbandes verliehen.
Auch beruflich hat Adolf Filter seinen Weg gemacht. Dabei hat er sich als „Motor“ der Ansiedlung von Industriebetrieben erwiesen. Nach 42 Dienstjahren wurde er im Juni 1996 als Oberamtsrat in den Un-Ruhestand verabschiedet. Aus diesem Anlass war im „Alzeyer Anzeiger“ zu lesen: „Er war kein Mann der lauten Worte, aber ist das positive Beispiel eines Beamten, dem stets bewusst war, dass die Bürger diesen Staat ausmachen“.
Gleichwohl hat Filter seine Ziele, ob beruflicher oder auch sportlicher Art, stets beharrlich und mit großem Engagement verfolgt.  Im Januar 2015 wurde er mit der goldenen Ehrennadel der Stadt Alzey ausgezeichnet. Beim Lions-Club Alzey war Adolf Filter Mitbegründer und 1974/75  auch deren Präsident.
Adolf Filter im Gespräch: „Der Sport und auch die unvergesslichen Jahre in Werdum haben mein Leben geprägt und immer einen besonderen Stellenwert gehabt“.

Zum Schluss sei noch angemerkt, das der Alzeyer in seiner Werdumer Zeit von 1946 bis 1950 den „Harlinger“ ausgetragen hat.
  Filter: „Ich kam nahezu in jeden Haushalt, sprach wohl recht gut „Platt“ und hatte deshalb sehr gute Kontakte. Manchmal gab es ein kleines Trinkgeld oder auch etwas essbares – man war ja nicht verwöhnt“. 
Der fitte Senior aus „Alzey, im Herzen des Weinparadieses Rheinhessen“, wie er es in seinen Ausführungen für den Verfasser des Berichts formuliert: „So ist aus dem jungen Zeitungsausträger der Nachkriegsjahre dann doch noch etwas geworden. Die Jahre nach dem verlorenen Krieg waren für uns alle nicht einfach, wobei allerdings der Verlust der Heimat besonders schwer wiegt. Ich werde die fünf Jahre in Werdum/Ostfriesland und viele nette Menschen nicht vergessen. Die Zeit hat mich geprägt – positiv!“
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Heute vollendet Adolf Filter sein 82. Lebensjahr. Das WERDUMER BLATT gratuliert dem fitten Senior recht herzlich und wünscht für die weitere Zukunft alles Gute, insbesondere Gesundheit. Möge ihm seine Schaffenskraft und die Begeisterung für den Fußballsport noch viele Jahre erhalten bleiben!


Klassentreffen 1989 im "Freesenkroog"


Adolf Filter beim Klassentreffen 1989. Daneben Jakob Freesemann und Heere Janssen

Quellen: Ostfriesische Landschaft, div. Ausgben vom Alzeyer Anzeiger, Jubiläumsschrift des SV Werdum „25 Jahre Sportverein Werdum e.V.“, Ausarbeitungen/Gespräche von/mit Adolf Filter.
Fotos: Adolf Filter, Hermann Janssen, SV Werdum