Kuhflüsterer ist eigentlich die falsche Bezeichnung,
denn Philipp Wenz wirkt nicht sprachlich auf die Rinder ein, sondern lenkt sie
mit seiner Körpersprache. Dabei spielt es keine Rolle, ob mit einem Tier oder
einer ganzen Herde gearbeitet wird. Doch dazu später mehr.
Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und
Gartenbau hatte zu einer Fortbildungsveranstaltung nach Stedesdorf eingeladen.
Ralf Neumann, zuständig für den Bereich Präventation, begrüßte die gut zwanzig
Landwirte und Mitarbeiter und bedankte sich bei Siebo Siebelts, Vorsitzender
des Zweigvereins Harlingerland mit seinen rund 310 Mitgliedern, für die
organisatorische Unterstützung. Neumann: „In Niedersachsen-Bremen gibt es rund
18.000 gemeldete Betriebe. Davon hat der Bereich „Tierhaltung“ 40 Prozent
Anteil. In 2011 wurden insgesamt rund 1.900 Unfälle/ Angriffe durch Rindvieh zu
vermelden. Daran gilt es in Zusammenarbeit der Berufsgenossenschaft
Niedersachsen (BGN) zu arbeiten, um die Unfallzahl zu vermindern“.
Im zweieinhalbstündigem theoretischen Teil der
Veranstaltung fesselte Philipp Wenz die Zuhörer. Der 44-jährige Kuhflüsterer
aus Roggentin im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte (Mecklenburg-Vorpommern)
hat diverse Ausbildungen durchlaufen. Prägend für seine Tätigkeit als
selbstständiger Berater für stressarmen Umgang mit Weidetieren, Milchvieh- und
Rinderhaltung, war nach seinen Aussagen
die Aufgabe als Betriebsleiter auf größeren Betrieben in Ostdeutschland in der
Mutterkuhhaltung.
Wenz zu Beginn seiner Ausführungen: „99 Prozent der
Probleme mit dem Tier liegen beim Menschen. Wenn etwas passiert, ist der Mensch
selber Schuld, denn er hat jegliche Signale der Tiere missachtet. Es handelt
sich um Fluchttiere, die sich bei falschem Umgang in die Enge getrieben fühlen. Wenz weiter: Das Tier signalisiert „Hilfe, nicht näher
kommen, stelle ich mich oder laufe ich weg?“
Diese Stresssituationen gilt es zu vermeiden. Der
Begriff „Kuhkomfort“ ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Zum Komfort
gehört jedoch nicht nur die Stalleinrichtung, sondern auch der Umgang mit den
Tieren, der Service sozusagen. Zweimal täglich haben Mensch und Tier beim
Melken miteinander zu tun, da ist es wichtig, das die Begegnungen möglichst
stressarm verlaufen. Um dieses zu erreichen, kommt der Begriff
„Low-Stress-Stockmanship“ ins Gespräch.
Dabei hat das Wort „Stockmanship“ nichts mit Stöcken im Sinne von Knüppeln zu
tun, sondern es lässt sich wie folgt
deuten: Stock sind die Nutztiere, der
Viehbestand, Man ist der Mensch und ship
gleich „schafft“, so wie in Freund-“schaft“. Stockmanship kommt aus den USA und
wurde dort vor langen Jahren von Bud Williams im Alleingang entwickelt. Er gab
sein Wissen in Kursen weiter in den USA, Kanada, Australien, Neuseeland und
Mexiko.
Die Umsetzung dieses Wissens in den heutigen Betrieben
ist unerlässlich. Philipp Wenz: „Rinder sind hervorragende Beobachter, wir
müssen mit unseren Tieren arbeiten und nicht darum herum. Nicht „was“, sondern
„wie“ ist entscheidend im Umgang mit
Tieren“. Der Referent stellte klar, dass das Betreuungsverhältnis sich
verändert hat. Die Betriebe seien größer geworden (Laufställe) und damit auch
die Stresssituationen. Wenz: „Die
Kontrolle über die Tiere ist
entscheidend, die Landwirtschaft steht in der Verantwortung. Gute Arbeit mit
Tieren zeichnet sich durch zwei Pole aus
und zwar Respekt und Vertrauen.
Dem theoretischen Teil schloss sich nach dem
Mittagessen die praktische Arbeit an. Dazu hatte sich Weert Baack, Insenhausen,
mit seinem Betrieb zur Verfügung gestellt.
Baack: „Vor knapp drei Jahren habe ich den
Milchviehbetrieb von meinem Vater übernommen. Zurzeit melken wir 250 Kühe, die
bereits unter dem Begriff „Low stress stockmanship“ gehalten werden.
Philipp Wenz stellte danach sein Können mit einem Teil
des Mitviehs eindrucksvoll unter Beweis. Der Kuhflüsterer:
„Ja, die Menschen! Sie müssen bereit sein, etwas Neues zu lernen. Leider ist es
so, dass wir uns den Tieren gegenüber intuitiv falsch bewegen. Wir können aber
lernen, zu verstehen, wie die Tiere fühlen und unser Verhalten entsprechend
verändern. Darüber hinaus gibt es keine Voraussetzungen. Es ist unglaublich,
was die Tiere alle mit und für uns tun können, wenn wir ihnen keine Angst
machen“. Den Beweis seiner Wort trat Philipp Wenz anschließend
an. Über das Mikrofon erklärend begleitet, bot er den Teilnehmern der
Veranstaltung eine eindrucksvolle Demonstration des richtigen Umgangs mit
Tieren. Dabei ist keine Kraft notwendig, sondern Aufmerksamkeit. Es gilt die
Tiere zu „lesen“ und sich richtig zum Tier zu positionieren. Wenz bewegte sich bei seiner rund einstündigen Arbeit
ruhig, leise und harmonisch und führte aus „Rennen ist nicht notwendig, denn
wer rennt, hat entscheidende Signale übersehen“. Er baute Druck auf durch
Distanzverringerung oder betrieb
Druckabbau durch Vergrößerung der Entfernung. Dabei bewegte er alle
Tiere oder trennte auch einzelne aus der Herde heraus. Alles hinterließ einen ruhigen, entspannten
Eindruck – der Kuhflüsterer hatte „seine“ Tier „im Griff“!
Die Zuschauer waren beeindruckt, jetzt heißt es, die
gemachten Erfahrungen und Eindrücke im eigenen Betrieb umzusetzen!
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